Keine Begrenzung der klassischen Massagetherapie auf 10 Einheiten

Seit Jahren streiten sich Masseure und medizinische Bademeister sowie Physiotherapeuten mit gesetzlichen Krankenkassen über die Begrenzung der klassischen Massagetherapie (KMT). So waren manche Krankenkassen der Ansicht, dass eine Höchstverordnungsmenge von 10 Einheiten existiert und kürzten daraufhin alle Massagen, welche über die Anzahl von 10 hinausgingen. 

 

Nunmehr liegt endlich ein Urteil für einen derartigen Fall vor, in dem die Rechtsanwaltskanzlei Alt das Sozialgericht Köln davon überzeugen konnte, dass eine Höchstmenge von 10 Einheiten eben nicht besteht, sondern mehr Einheiten abgerechnet werden können.

Das Sozialgericht Köln urteilte am 26.02.2021 und verpflichtet somit die IKK classic dazu, einen Betrag in Höhe von 26,70 € zu zahlen, welcher sich aus 2 Mal 13,35 € zusammensetzte. Auftraggeber war die Abrechnungsstelle Mittelrhein für Physikalische Therapie e.V.. Dabei handelt es sich um einen Abrechnungsdienstleister für Therapeuten, welcher in Vereinsform organisiert ist und sich regelmäßig für Mitglieder auch im Streit mit Krankenkassen einsetzt. 

 

Dem Fall lag eine Verordnung vom 16.08.2018 zugrunde. Insgesamt wurden 12 Behandlungen der klassischen Massagetherapie abgegeben. Das Abrechnungszentrum Emmendingen, welches als Abrechnungsdienstleister für die IKK classic tätig ist, teilte der Abrechnungsstelle Mittelrhein mit Schreiben vom 27.03.2019 mit, dass Massagetechniken nach ihrer Auffassung in Verbindung mit dem zulässigen Indikationsschlüssel nur bis zu einer Höchstmenge von 10 Einheiten abgerechnet werden dürften. Es seien dabei die Grundsätze der Verordnung im Regelfall anzuwenden. Danach betrage die Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls 18 Einheiten, wovon maximal 10 Einheiten Massagetechniken sein könnten. Folglich könnten 2 Behandlungen nicht vergütet werden. Mit Schreiben vom 14.06.2019 forderte dann Rechtsanwalt D. Benjamin Alt im Namen der Abrechnungsstelle Mittelrhein das Abrechnungszentrum Emmendingen auf, die Zahlung der beiden abgesetzten Leistungen vorzunehmen. Da keine Zahlung erfolgte, wurde am 19.07.2019 die Klage eingereicht. Es wurde dargestellt, dass bei dem streitigen Indikationsschlüssel WS2f eine Folgeverordnung sowie eine Verordnung außerhalb des Regelfalls zulässig sei und dass für die Kürzung keine Grundlage bestünde. Eine Begrenzung für Verordnungen außerhalb des Regelfalls ergeben sich im vorliegenden Fall nicht aus der Heilmittelrichtlinie. Es wurde darüber hinaus dargestellt, dass Meinungsäußerungen in Form eines Fragen-Antworten-Katalogs des GKV-Spitzenverbandes nicht entscheidend seien, weil diesem keine Rechtswirkungen zukämen. Dagegen wehrte sich die Beklagte und beantragte die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen. Das Sozialgericht Köln urteilte, dass die Heilmittelrichtlinie in der anwendbaren Fassung vom 21.07.2019 (in Kraft getreten am 01.01.2018) keine Regelung beinhalte, die die Verordnungsmenge für KMT im Fall der Verordnung außerhalb des Regelfalls (§ 8 HMR) auf 10 begrenzen würde. § 8 Abs. 1 Satz 3 HMR bestimme, dass die Grundsätze der Verordnung im Regelfall mit der Ausnahme des § 7 Abs. 10 HMR auf die Verordnung außerhalb des Regelfalls anzuwenden seien. § 7 Abs. 10 HMR regele jedoch, dass die maximale Verordnungsmenge bei Erst- und Folgeverordnung im Heilmittelkatalog festgelegt sei. Damit gehe bereits aus dem Wortlaut der Richtlinie hervor, dass bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls die Begrenzung der Verordnungsmenge für Regelverordnungen nach § 7 HMR und damit auch die Regelung hinsichtlich des Anteils von Massagetechniken bei der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls gerade nicht gelten würde. Dies würde darüber hinaus dadurch gestützt, dass § 8 Abs. 1 Satz 4 HMR für die Verordnungsmenge eine eigenständige Regelung enthalte, die nicht nach der Art des Heilmittels in quantitativer Hinsicht differenziere. Danach würde die Verordnungsmenge abhängig von der Behandlungsfrequenz so zu bemessen sein, sodass mindestens eine ärztliche Untersuchung innerhalb einer Zeitspanne von 12 Wochen nach der Verordnung zu gewährleisten sei. Der Arzt könnte insoweit ohne weiteres zu der Entscheidung kommen, dass auch 12 Einheiten KMT erforderlich sind. Insoweit urteilte das Gericht eindeutig, dass die Begrenzung der KMT auf 10 Behandlungen nicht rechtmäßig ist. 

 

Es verwies darüber hinaus ausdrücklich darauf, dass der Fragen-Antworten-Katalog des GKV-Spitzenverbandes keinerlei rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Es wurde insoweit die Ansicht von Rechtsanwalt Alt bestätigt, dass es sich nur um Rechtsansichten handelt, welche seitens des GKV-Spitzenverbandes mitgeteilt werden und ansonsten keinerlei rechtliche Bindungswirkung besteht. 

 

Somit wurde dann die IKK classic dazu verurteilt, die zwei abgesetzten Behandlungen zu vergüten und zusätzlich Zinsen seit dem 19.07.2019 zu zahlen.  

 

Jetzt liegt endlich also bei der hier in Rede stehenden Frage ein Urteil vor. Dieses ist darüber hinaus rechtskräftig und könnte als Vorlage für viele andere Verfahren herhalten. Da die Berufung nicht zugelassen wurde, können sich Therapeuten auf das entsprechende Urteil mit dem Aktenzeichen S 17 KR 1097/19 auch berufen. 

 

Aus unserer täglichen Beratung von Therapeuten wissen wir, dass viele Massage- und Physiotherapiepraxen unter Absetzungen in vergleichbaren Fällen zu leiden hatten. Sollten Praxen in einer vergleichbaren Situation sein, können sie sich nunmehr unter Bezugnahme auf das dargestellte Urteil an das für sie örtlich zuständige Sozialgericht wenden. Da es sich nicht um ein Urteil eines Landes- oder Bundesgerichts handelt, könnte es streng genommen auch in einem anderen Verfahren eine gegenteilige Entscheidung geben, wovon wir jedoch nicht ausgehen, weil das Gericht genauso entschieden hat, wie seitens der Rechtsanwaltskanzlei Alt immer dargestellt wurde und was insoweit auch vollkommen schlüssig ist. 

 

Sollten Sie auch von derartigen Absetzungen betroffen sein, wenden Sie sich gerne an uns. Es müsste dann der vollständige Vorgang zusammengestellt werden, so dass wir eine Vollmacht übersenden und dann die Ansprüche geltend machen können. Ob sich andere Gericht ebenso dieser Rechtsprechung anschließen, werden wir im Weiteren berichten.